Marius Neset
PINBALL
ACT CD
(V.Ö
.: 30.1.) Auch als LP
erhältlich
Was für eine eigenartige Besetzung:
Natürlich Tenor- und Sopransaxo-
phon, dazu der Bass von Petter
Eldh, das Schlagzeug von Anton
Eger, dann aber wahlweise Klavier
oder Hammondorgel (Ivo Neame),
schließlich Vibraphon oder Marim-
ba des furios talentierten Briten Jim
Hart. Dazu gesellen sich, wann im-
mer es Bandleader Marius Neset
gefällt, Cello und Geige, Flöte und
Tamburin. Kein Zweifel: Neset, jetzt
schon eine herausragende Stimme
am Saxophon, hat ein feines Gespür
für ungewöhnliche Arrangements.
Schon auf der letzten Scheibe bot
er mit dem Trondheim Jazz Orches-
tra ein ganzes Instrumentenarse-
nal auf, in dem er neben den erwart-
baren Big-Band-Bläsern auch Tuba
und Akkordeon platzierte.
Auf dem neuen Album „Pinball“
pusten vertrackt springende und
tanzende Rhythmen die Ohren frei.
Aber dazwischen finden sich auch
balladeske, ja, hymnische Passa-
gen. Tatsächlich ist der hin- und
herflitzende Pinball im Flipper eine
schöne Beschreibung von Nesets
musikalischem Denken: Ständig
ändert seine Musik ihren Sound,
ständig öffnen sich neue Türen.
Nichts scheint für den Hörer vor-
hersehbar sein zu sollen. Dabei ist
alles genau abgekartet, denn ein
solch sich blitzschnell wandeln-
des Soundgebilde kann nur erfin-
den und spielen, wer über außer-
gewöhnlich fähige Mitmusiker ver-
fügt.
Es ist nicht verwunderlich, dass
Nesets frühe musikalische Erfah-
rung durchaus eine rhythmische
war. Als Fünfjähriger begann er
auf dem Schlagzeug: „Das Drum-
set gab mir eine Basis früh in un-
geraden Metren zu denken und zu
spielen, so dass ich ein natürliches
Gespür dafür habe“, meint Neset.
Komplex überlagern sich die Ins-
trumente, tun sich zusammen und
driften auf ihre Solopfade. Toll!
Tilman Urbach
MUSIK ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★
CDs
|
NEUES
AUS
DER
M U S I K W E L T
Jubiläum eines Rekordalbums
K eith Jarretts „Köln C on cert“ gilt als m eistverkaufte Soloplatte der
Jazzgeschichte. Bis 1982 gingen bereits eine M illion A lben über
den Ladentisch, bis heute bew egen sich die Verkäufe bei knapp vier
M illionen Exemplaren. W enn der leidenschaftliche Rock-H örer oder
der M ozart-Liebhaber nur eine Jazz-Platte sein Eigen nennt, so ist
es w ahrscheinlich das „Köln C on cert“, das von M artin W ieland und
R olf Bauer im Auftrag von E C M aufgezeichnet wurde. D abei waren
die U m stände, unter denen Jarretts A uftritt vor 40 Jahren am 24.
Januar 1975 in der K ölner O per stattfand, alles andere als günstig:
D er M usiker w ar sehr enttäuscht darüber, dass der vertraglich
zugesicherte Steinw ay schon bei der Probe nich t zur Verfügung
stand. Stattdessen gab es einen Bösendorfer, der sich nicht im besten
Zustand befand. Zudem konnte das Instrum ent vor dem Konzert aus
zeitlichen G ründen zwar noch gestim m t, aber nicht m ehr intoniert
werden. N ach einer Probe m it einer Klangeinstellung, die K eith Jar-
rett danach vom Band anhörte, war er im Zweifel, ob er spielen sollte
oder nicht, entschied sich aber
schließlich doch dafür. D as le-
gendäre K onzert begann letztlich
erst nach 22 Uhr. Im V ergleich
zu K eith Jarretts sonstigen A uf-
nahm en ist das „Köln C on cert“
sehr eingängig und einfach zu
hören, was der H auptgrund für
den großen E rfolg des A lbum s
sein dürfte, der Pianist selbst sieht
es nich t als seine bedeutendste
A ufnahm e an.
David Helbock Trio
AURAL COLORS
Traumton/Indigo CD
Ein Piano Trio, aber kein herkömmli-
ches: David Helbock am Flügel, Her-
bert Pirker am Schlagzeug und Ra-
phael Preuschl an der Bassukulele.
Bassukulele? Die wäre gar nicht auf-
gefallen, denn sie klingt hier, als hät-
te Jaco Pastorius seinen E-Bass noch
einmal ausgepackt. Das Trio setzt
auf Tempo und Humor. Das macht
Spaß, auch wenn manches Thema
ein wenig flach und eingleisig da-
herkommt. Besser ist die Forma-
tion, wenn sie unvermittelt intros-
pektiv wird oder im Gegenteil kraft-
voll-rockig und rasant-funky abgeht.
Von den virtuos musikalischen Mög-
lichkeiten her gesehen ist dieses
Trio jedenfalls voll auf der Höhe.
T.U.
MUSIK ■
KLANG ★ ★ ★
Heliocentric Counterblast
K
PLANETARY TUNES
Enja/Soulfood CD
(55
')
Der von Science-Fiction-Mythologie
beseelte Multiinstrumentalist Sun
Ra hinterließ eine wilde Mixtur aus
Black Swing, Bebop, Free und Elect-
ronics. Davon ließ sich die Berliner
Saxophonistin Kathrin Lemke inspi-
rieren, die mit ihrer Band Heliocent-
ric Counterblast ein Repertoire aus
eigenen Kompositionen und Sun Ra-
Originals zu einem originellen Kon-
zept verbindet. Die geheimnisvoll
klingenden Themen erhalten durch
die improvisatorische Wucht des
Ensembles einen magischen Drive.
Analog zu Sun Ras Musik kreieren
die Protagonisten ein farbenpräch-
tiges musikalisches Mosaik, dessen
Musterimmerin Bewegung bleibt.
G.F.
MUSIK ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★
Das DR-Logo gibt den Dynamikumfang des Tonträgers an. Nähere Infos unter www.stereo.de
JAZZ
Marcos Valle
AO VIVO
Sony CD
& Stacey Kent
Seit seligen Bossa-Nova-Tagen
zählt Marcos Valle zu den großen
Song- und Hit-Lieferanten der bra-
silianischen Musik; immer wieder
verstand er es, aktuelle Entwicklun-
gen aufzugreifen. Zum
5 0
-Jährigen
seiner Karriere bat er die Jazzsänge-
rin Stacey Kent zu einem Live-Quer-
schnitt durch sein Schaffen nach
Rio. Mit sechsköpfiger Band, die
schon mal größer wirken kann, ge-
ben sie Valle-Klassikern („Sum-
mer Samba“, „Batucada“, „The Cri-
ckets“), aber auch neueren Songs
eine jazzigen Touch, wobei Staceys
Gatte Jim Tomlinson die Sängerin in
Stan Getzscher Manier auf dem Te-
norsaxophon sanft umschmeichelt.
klm
MUSIK ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★
PLAYS LOVE SUITE BY ERIC DOLPHY
Jazzwerkstatt CD
(62
')
Das Gesamtwerk von Eric Dolphy
hatte die Berliner Altistin Silke
Eberhard mit ihrem Bläserquartett
Potsa Lotsa bereits neu interpre-
tiert, da stieß sie auf dessen nie
eingespielte, nur fragmentarisch
erhaltene „Love Suite“. Zum
5 0
.
Todestag des großen Innovators er-
weiterte sie jetzt ihr Quartett, be-
arbeitete das Stück für sieben Blä-
ser plus Elektronik und nahm die
drei Sätze zum Ausgangspunkt für
eigene Ergänzungen, die das Al-
bum komplettieren. In enger Ver-
quickung von offenen und kompo-
nierten Teilen kreiert sie eine Kam-
mermusik, die Dolphys Vermittler-
rolle zwischen Bop und Free zeitge-
mäß auslegt.
klm
MUSIK ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★ ____________
STEREO 2/2015 129